Bochum, 13.06.2022 - Mitbestimmung in Krisenzeiten – unter diesem Motto stand die diesjährige Jahrestagung für Betriebsräte der NGG.NRW. Rund 100 Betriebsräte aus dem Gastgewerbe, der Lebensmittelindustrie und dem Bäckerhandwerk kamen in Bochum im RuhrCongress zusammen, um die aktuellen Krisen und ihre Folgen für unsere Branchen und die damit verbundenen Herausforderungen für Betriebsräte zu beleuchten.
Im Fokus der Bochumer Konferenz stand die digitale Transformation und ihre Auswirkungen auf die betriebliche Mitbestimmung. „Von der Online-Betriebsversammlung bis hin zur Arbeitszeiterfassung im Homeoffice – Corona hat den Wandel der Arbeitswelt beschleunigt. Jetzt geht es darum, die Veränderungen im Sinne der Beschäftigten zu gestalten“, so der Vorsitzende der NGG.NRW, Boudih.
Den Teilnehmenden wurden gute Beispiele erfolgreicher Betriebsratsarbeit in der Krise präsentiert. NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann sprach zum Thema „Was Politik zur Krisenbewältigung leisten kann – und was nicht“. Mit Prof. Dr. Gustav Horn konnten wir einen herausragenden Wirtschaftsexperten gewinnen. Mit ihrer Expertise als Vorsitzende des DGB NRW nahm Anja Weber die Mitbestimmung in anderen Branchen und Gewerkschaften unter die Lupe. Natürlich kam der Austausch unter den Teilnehmenden nicht zu kurz.
Vor dem Hintergrund rasant steigender Preise für Lebensmittel und Energie forderte der Landesvorsitzende der NGG.NRW, Mohamed Boudih, Wohlhabende stärker an der Finanzierung der Krisenlasten zu beteiligen. „Erst Kurzarbeit, jetzt Inflation – in Nordrhein-Westfalen müssen mehr und mehr Beschäftigte Einkommenseinbußen hinnehmen. Es ist höchste Zeit, dass die Politik Reiche mehr zur Kasse bittet – und überzogene Gewinne und Vermögen stärker besteuert“, sagte er.
Um die massiven staatlichen Mehrausgaben im Zuge der Corona- und Ukrainekrise gegenzufinanzieren, forderte Gewerkschafter Boudih eine höhere Erbschafts- und Vermögenssteuer. Trotz Widerstandes aus den Reihen der FDP dürften die Abgaben kein Tabu mehr in der Bundesregierung sein. „Außerdem braucht es eine Übergewinnsteuer, um der überzogenen Profitmacherei einiger Unternehmen einen Riegel vorzuschieben. Die aktuellen Mitnahmeeffekte der Mineralölkonzerne beim Tankrabatt sind ein Unding“, so Boudih. Faire Steuern müssten auch dazu dienen, weitere staatliche Entlastungspakete zur Abfederung der Zusatzbelastungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu finanzieren. Die Forderung unterstützt auch Wirtschaftswissenschaftler Gustav Horn (Universität Duisburg-Essen), der ebenfalls bei der Tagung in Bochum dabei war. „Die Kaufkraft der Beschäftigten muss gestützt werden. Wir leben in schwierigen Zeiten, aber wir können sie nur bewältigen – allerdings nur gemeinsam und solidarisch“, so Horn.
Mohamed Boudih verwies auf Berichte von Betriebsräten, nach denen die Beschäftigten im Lebensmittel- und Gastgewerbe besonders von den Krisenfolgen betroffen sind. „Von Dr. Oetker bis Haribo – in Nordrhein-Westfalen wird ein Großteil der Nahrungsmittel für den deutschen Markt hergestellt. Die Ernährungsindustrie gilt als systemrelevant, doch die landesweit knapp 150.000 Beschäftigten leiden ebenso unter den Folgen der Inflation. Immer mehr von ihnen können sich viele Produkte, die sie fürs tägliche Leben brauchen, schon nicht mehr leisten“, betont der NGG-Landesvorsitzende.
Wegen extrem gestiegener Preise etwa für Gas und Getreide setzten manche Unternehmen jetzt auf einen Sparkurs, was die Löhne unter Druck setze. Die NGG werde sich jedoch zusammen mit den Betriebsräten für ein angemessenes Einkommensplus starkmachen. Immerhin verzeichneten Firmen wie Nestlé nach wie vor Rekordgewinne, so Boudih.
Im Hotel- und Gaststättengewerbe habe die NGG vor Kurzem am Tariftisch ein „Lohn-Nachholpaket“ durchsetzen können. Dabei sei es der Gewerkschaft gelungen, Lohnerhöhungen von bis zu 28 Prozent zu erzielen. „Das war – nicht zuletzt auch angesichts des enormen Preisanstiegs – ein dringend notwendiger tariflicher Quantensprung“, so Boudih. Der Einstiegsverdienst in der Branche liege nun bei 12,50 Euro pro Stunde – und damit über dem gesetzlichen Mindestlohn, der im Oktober auf zwölf Euro steigt. „Nach Lockdowns und Kurzarbeit haben die Beschäftigten jetzt endlich wieder eine Perspektive. Das Lohn-Plus macht die Arbeit an Theke und Tresen deutlich attraktiver. Das ist ein wichtiger Beitrag gegen den großen Fachkräftemangel in der Branche“, so Boudih. Gemeinsam mit den Betriebsräten arbeite die NGG nun daran, dass die gestiegenen Einkommen auch bei den Beschäftigten ankämen.
Redaktionelle Mitarbeit: Karim Baou